Medizinrecht


Sitzbindungsklauseln in Gesellschaftsverträgen von Arztpraxen



In Gesellschaftsverträgen von Arztpraxen finden sich häufig Regelungen dazu, was im Falle des Ausscheidens eines Gesellschafters mit dessen Zulassung („Sitz“) geschehen soll. Teilweise wird hierzu vereinbart, dass ein ausscheidender Arzt seine Zulassung zugunsten der verbleibenden Gesellschafter bzw. der Gemeinschaftspraxis „zurücklassen muss“, damit diese dann von den verbleibenden Gesellschaftern bzw. der Gemeinschaftspraxis verwertet und anderweitig nachbesetzt werden kann. Unter welchen Voraussetzungen solche sog. Sitzbindungsklauseln ist in Rechtsprechung und Literatur umstritten und nicht abschließend geklärt. Umso erfreulicher ist es, dass diese Thematik jüngst wieder einmal Gegenstand eines gerichtlichen Verfahrens war. Das Landgericht Kaiserslautern hat sich in einem einstweiligen Unterlassungsverfahren jüngst für die Zulässigkeit einer solchen Klausel ausgesprochen (Beschluss vom 25.11.2023 – 2 O 712/22).

1. Sachverhalt zum Beschluss des LG Kaiserlautern

Eine Ärztin ist im Jahr 2003 in eine radiologische Gemeinschaftspraxis eingestiegen und hat eine in dieser Praxis bereits vorhandene Zulassung übernommen. Der Gesellschaftsvertrag aus dem Jahr 2009 sah vor, dass im Falle der Kündigung eines Gesellschafters dieser aus der Praxis ausscheidet und die Gesellschaft von den verbleibenden Ärzten fortgeführt wird. Zudem war für den Fall des Ausscheidens eines Arztes vorgesehen, dass dieser verpflichtet ist, alle Handlungen und Erklärungen abzugeben, damit seine Vertragsarztzulassung in jedem Fall in der Praxis verbleibt.

Die betroffene Ärztin hat die Gesellschaft ordentlich gekündigt. Einer Aufforderung der Mitgesellschafter, ihre Zulassung auszuschreiben und einen Antrag auf Durchführung des Nachbesetzungsverfahrens zu stellen, ist sie nicht nachgekommen. Vielmehr hat die betroffene Ärztin einen Antrag beim zuständigen Zulassungsausschuss auf Verlegung ihres Vertragsarztsitzes gestellt, da sie künftig als angestellte Ärztin in einem MVZ tätig werden wollte. Hierauf haben die verbleibenden Gesellschafter mit einer einstweiligen Unterlassungsverfügung reagiert mit dem Ziel, dass der betroffenen Ärztin einstweilen untersagt wird, ihren Vertragsarztsitz zu verlegen und zugunsten einer Anstellung in einem MVZ auf ihre Vertragsarztzulassung zu verzichten.

2. Entscheidung des LG Kaiserslautern

Das Landgericht Kaiserslautern hat dem Antrag der verbleibenden Gesellschafter im Eilverfahren stattgegeben und Unterlassungsanspruch bejaht. Dieser folge aus der im Gesellschaftsvertrag vereinbarten Sitzbindungsklausel. Eine Abwägung der widerstreitenden Interessen führe dazu, dass den Interessen der verbleibenden Ärzte bzw. der Gemeinschaftspraxis Vorrang vor den Interessen der ausscheidenden Ärztin eingeräumt werden müsse.

Zu berücksichtigen sei auf der einen Seite für die Gemeinschaftspraxis deren finanzielle Planungssicherheit, insbesondere da in radiologischen Praxen teure medizinische Geräte zum Einsatz kommen. Zudem bekommt die ausscheidende Ärztin nach den gesellschaftsvertraglichen Regelungen eine Abfindung für den Verlust der Gesellschafterstellung und sie unterliegt keinem nachvertraglichen Wettbewerbsverbot. Ebenso war zugunsten der Gemeinschaftspraxis zu berücksichtigen, dass die betroffene Ärztin beim Einstieg in die Praxis keine eigene Zulassung mitgebracht hat. Vielmehr hat sie damals eine bereits in der Praxis vorhandene Zulassung übernommen. Die Tatsache, dass die betroffene Ärztin bereits seit über 20 Jahren in der Praxis tätig war, führte zu keinem anderen Ergebnis.

3. Praxishinweise

Die Entscheidung des Landgerichts Kaiserslautern hat hohe Praxisrelevanz und betrifft ein typisches Konfliktfeld bei Gesellschafterstreitigkeiten in Arztpraxen, die insbesondere im Zuge des Ausscheidens eines Gesellschafters auftreten können.

Inhaltlich orientiert sich die Entscheidung an einem Grundsatzurteil des BGH (Urteil vom 22.07.2022 – II ZR 90/01). Nach Auffassung des BGH sollen Sitzbindungsklauseln zumindest nicht dann sittenwidrig sein, wenn der ausscheidende Arzt die Gemeinschaftspraxis aufgrund einer nur relativ kurzen Zugehörigkeit nicht entscheidend mitprägen konnte. Vorliegend bestand aber die Besonderheit, dass die ausscheidende Ärztin über 20 Jahre lang in der Praxis tätig war, sodass im Zweifel sehr wohl von einer „Mitprägung“ ausgegangen werden muss. Das Landgericht Kaiserslautern entschied jedoch, dass aus dem Urteil des BGH nicht im Umkehrschluss gefolgert werden könne, dass bei einer langen Praxiszugehörigkeit automatisch die Interessen des ausscheidenden Gesellschafters vorrangig seien.

Zu berücksichtigen ist bei der Entscheidung des Landgerichts Kaiserslautern, dass es sich um eine Entscheidung im Rahmen eines einstweiligen Verfügungsverfahrens und nicht im Rahmen eines Hauptsacheverfahrens gehandelt hat. Es bleibt daher abzuwarten, wie die obergerichtliche Rechtsprechung auf den Beschluss des Landgerichts Kaiserslautern reagieren wird. Sofern man sich inhaltlich hieran orientiert, wird man künftig im Zweifel eine Sitzbindungsklausel – insbesondere bei einer langen Praxiszugehörigkeit – nicht mehr alleine durch die Zahlung einer Abfindung, die auch den Anteil am immateriellen Wert der Praxis („Goodwill“) beinhaltet, kompensieren können. Unter Umständen wird man sicherheitshalber gleichzeitig den ausscheidenden Arzt keinem nachvertraglichen Wettbewerbsverbot unterwerfen können.

In jedem Fall aber zeigt die Entscheidung, dass die Frage, wie im Falle des Ausscheidens eines Arztes mit seiner Zulassung zu verfahren ist, bereits bei Gründung einer Gesellschaft durchdacht und berücksichtigt werden muss. Bei der Erstellung von Gesellschaftsverträgen ist hierauf ein besonderes Augenmerk zu legen.

Unsere Kolleginnen und Kollegen beraten umfassend zum Vertragsarztrecht und zu damit im Zusammenhang stehen gesellschaftsrechtlichen Fragen. Gerne können Sie sich bei Beratungsbedarf jederzeit an uns wenden.


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